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Die pränatale Alkoholexposition ist mit einer Vielzahl von Risiken verbunden. Das Spektrum möglicher Störungen nach fetaler Alkoholexposition heisst Fetal Alcohol Spectrum Disorder (FASD, Deutsch: Fetale Alkoholspektrumstörung). Dazu zählt auch die gravierendste und sichtbarste Form von FASD, das Fetale Alkoholsyndrom (FAS). Die Begriffe für die Diagnose solcher Störungen sind von Land zu Land unterschiedlich. Allgemein ist die Tendenz, sämtliche durch Alkoholexposition entstandenen Störungen unter dem Sammelbegriff FASD zusammenzufassen, auch das FAS. In Kanada zum Beispiel wird unterschieden zwischen FASD mit charakteristischen Veränderungen des Gesichts und FASD ohne diese Veränderungen.

  • FASD ist oft schwer zu diagnostizieren.
  • Die relativ bekannten Anomalien im Gesicht sind selten präsent. Oft wird statt eines FASD eine Aufmerksamkeitsdefizit-Störung mit oder ohne Hyperaktivitätsstörung diagnostiziert.
  • Zu den möglichen Auswirkungen von FASD gehören: Gedächtnis- und Lernprobleme, psychomotorische Probleme, Probleme mit Beziehungen und sozialen Interaktionen, körperliche Probleme, Probleme mit Sprachverständnis etc.
  • Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 1 und 4% aller Neugeborenen in Europa von FASD betroffen sind. In der Schweiz entspricht dies mindestens 1’700 Kindern pro Jahr (andere Schätzungen gehen von bis zu 4’000 aus), von denen 170 bis 400 Kinder eine schwere Form (also FAS) aufweisen.

FASD: Wie erkennen?

Säuglinge

Die neurologischen Störungen beeinträchtigen unter anderem den Schlaf, den Saugreflex, die Motorik und den Sehsinn:

  • Probleme mit der Anpassungsfähigkeit an Stimuli (Licht, Töne, Berührungen)
  • Viele automatische Bewegungen (Reflexe) verschwinden normalerweise nach einigen Monaten. Bei FASD können sie länger andauern. Zum Beispiel der Moro-Reflex oder der Greifreflex.
  • Erhöhter oder verringerter Muskeltonus, Saug- und Schluckreflex
  • Häufige Schlafstörungen (Probleme mit Einschlafen und Durchschlafen)
  • Wiegen und repetitive Bewegungen (können über das Säuglingsalter hinaus andauern)
  • Störungen bei der motorischen Entwicklung (Gleichgewicht, Koordination – Probleme können andauern)
  • Sehstörungen, Probleme der Feinmotorik, Zittern (Probleme können andauern)

Kinder im Vorschulalter

Die neurologischen Störungen beeinträchtigen die motorische Entwicklung, die Kontrolle von Gefühlen und das soziale Verhalten.

  • Verlangsamtes Lernen (motorisch, sprachlich, sich anziehen können etc.)
  • Probleme, Gefühle und Verhalten zu kontrollieren (dies führt z. B. zu lang andauernden Wutanfällen)
  • Probleme mit der Konzentration
  • Unangemessenes soziales Verhalten (wegen Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen vertrauten und fremden Menschen)

Schulkinder

Die neurologischen Störungen beeinträchtigen den Erwerb von Grundkenntnissen, die Planung, den Zeitbegriff, das Bewusstsein für Eigentum, die Abstraktionsfähigkeit und das mathematische Denken.

  • Schwierigkeiten beim Lernen von Grundkenntnissen (Buchstaben und Zahlen erkennen, Schreiben, Rechnen)
  • Schwierigkeiten beim komplexen Lernen (Textverständnis, mathematisches Denken)
  • Eingeschränkte Abstraktions- und Verallgemeinerungsfähigkeit
  • Schwierigkeiten beim Planen, beim Einteilen von Zeit, beim Verständnis für Zeit, für Raum, für Eigentum und für den Wert des Geldes
  • Oft Probleme beim schulischen Lernen, insbesondere in der Mathematik. Betroffene Kinder können ein bestimmtes Lernniveau erreichen, aber sich nicht mehr darüber hinaus entwickeln. Zum Beispiel kann das Erlernen von Additionen funktionieren, aber das Erlernen von Multiplikationen nicht mehr.

Gedächtnis: Schwierigkeiten, sich an eine Anweisungsreihe zu erinnern, sich an eine erfolgreich gelöste Aufgabe vom Vortag zu erinnern, Informationen aufzunehmen und abzurufen etc.

Sprache: Das Sprechen und der sprachliche Ausdruck sind oft gut ausgeprägt. Das führt dazu, dass man diesen Kindern mehr zutraut, als sie tatsächlich können. Das Verstehen bietet Probleme. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, bildliche Sprache, Ironie, rasche Dialoge etc. zu erfassen.

Verhaltensregulation: Impulsivität, rascher Übergang von Hyperaktivität zu Passivität, Schwierigkeit, angemessene Aufmerksamkeit zu schenken (zu viel / zu wenig) etc.

Erwachsene

Manche FASD-Betroffene können als Erwachsene autonom leben, viele werden aber wegen ihrer Schwierigkeiten nie ganz unabhängig.

Die Schwierigkeiten, die im Kindes- und Jugendalter bestehen, wirken sich auch im Erwachsenenleben aus. Sie äussern sich als «sekundäre Probleme». Sekundäre Probleme sind Probleme, die wegen der oben beschriebenen Schwierigkeiten entstehen. Betroffene können nicht gut mit Geld umgehen. Sie können Regeln, Gesetze und Konsequenzen von Regelübertretungen nicht gut erfassen. Viele gehen risikohafte (sexuelle) Beziehungen ein. Betroffene haben auch ein erhöhtes Risiko, Suchtmittelprobleme zu entwickeln.

FASD: Was tun?

Kinder

Die Kinder und auch ihr Umfeld sind betroffen. Viele betroffene Kinder brauchen sehr viel Unterstützung.

Eine frühe Diagnose (möglichst vor 6 Jahren), ein stabiles, anregendes und strukturiertes Zuhause sowie Zugang zu kompetenten Fachstellen können die Auswirkungen der Schädigungen und das Ausmass der Behinderung mindern.

Es ist wichtig, Anzeichen für alkoholbedingte Schädigungen frühzeitig zu erkennen. Dies ermöglicht, die Schwierigkeiten richtig zu interpretieren, mit denen ein Kind konfrontiert ist. So lässt sich auch besser einschätzen, welche Erwartungen an das Kind und welche Ziele realistisch sind.

Es ist wichtig, zu wissen: Es ist nicht so, dass das Kind nicht will – es KANN nicht! Das Kind ist nicht «unwillig».

Wenn man weiss, welches Problem das Kind hat, kann man es in seinem Potenzial besser unterstützen. Man kann Verhaltensprobleme besser verstehen und auffangen. Man kann bei Entmutigung, Selbstwertproblemen, Risikoverhalten, Empfänglichkeit für «schlechte Einflüsse» etc. klarer und gezielter reagieren.

Im Alltag:

  • Präzise und knapp formulieren: einfache Worte, kurze Sätze, keine Ironie
  • Wiederholen: Das Kurzzeitgedächtnis des Kindes ist beeinträchtigt. Es vergisst, auch wenn es sich zu erinnern versucht. Zuerst wiederholen, dann Eselsbrücken geben; so wird die Erinnerung des Kindes unterstützt und es bleibt mit dem Gesagten nicht allein.
  • Routine schaffen: Gewohnheiten beruhigen. Veränderungen voraussehen und das Kind darauf vorbereiten, gleichbleibende Aktivitäten einplanen, auch gemeinsame Aktivitäten mit anderen Personen.

Erwachsene

Von FASD betroffene Erwachsene sind nicht alle gleich betroffen. Die Schwierigkeiten können unterschiedliche Dinge betreffen. Die Schwierigkeiten sind unterschiedlich gross.

Viele Betroffene sind sich ihrer Einschränkungen bewusst. Aber es ist schwierig für sie, diese zu überwinden. Betroffene können sich z B. oft auch an einfache Handlungsabläufe nicht erinnern. Schon alltägliche Aufgaben sind für sie oft enorm anstrengend.

Die Behinderung ist nicht sichtbar, aber oft schwer. Viele Betroffene können sich sprachlich gut ausdrücken. Das Umfeld erwartet deswegen, dass die Betroffenen mehr verstehen, als sie tatsächlich können. Das kann dazu führen, dass das Umfeld wenig Verständnis aufbringt.

Neben Fachpersonen können Menschen aus dem Umfeld wichtige Unterstützung bieten. Sie können bei der Bewältigung von alltäglichen Aufgaben beistehen. Sie können verlässliche Stützen sein.

Fachliche Unterstützung bei FASD

Fachliche Unterstützung bieten folgende Stellen und Fachpersonen:

Für Kinder: HeilpädagogInnen, NeuropädiaterInnen in Spitälern oder Privatpraxen, psychiatrische Abteilungen mit Spezialisierung für kognitive Entwicklung (z. B. kinder- und jugendpsychiatrische Dienste). Auch andere SpezialistInnen, je nach Symptomen und Bedarf (z. B. Psychomotorik, Heilpädagogik, Logopädie, Ergotherapie etc.).

Für junge Erwachsene: Medizinisch-psychologische Beratungen für junge Erwachsene, psychiatrische Abteilungen mit Spezialisierung für junge Erwachsene oder Spezialisierung für Probleme mit Emotionsregulation oder für weitere Probleme. Auch andere Fachpersonen, je nach Symptomen und Bedarf (z. B. für Psychomotorik, Psychotherapie, Familienberatung etc.). Spezifische Unterstützung je nach Art der Behinderung, Begleitung im Alltag, Beistandschaft etc. Pro Infirmis bietet für Menschen mit Behinderungen Sozialberatungen an und kann dabei unterstützen, zielführende Lösungen für individuellen Bedarf an Unterstützung zu finden: www.proinfirmis.ch

Für Erwachsene: Fachpersonen je nach Symptomen sowie spezifische Unterstützung je nach Art der Behinderung, Begleitung im Alltag, Beistandschaft etc. Pro Infirmis bietet für Menschen mit Behinderungen Sozialberatungen an und kann dabei unterstützen, zielführende Lösungen für individuellen Bedarf an Unterstützung zu finden: www.proinfirmis.ch

 

Hier finden Sie Informationen und Ratgeber von Fachstellen aus dem Ausland für Fachpersonen und Betroffene.